Vom Partyvehikel zum Forschungsprojekt: Forschende der Uni Stuttgart tüfteln am autonomen E‑Scooter. Gelingt das Projekt, könnte er die ungeliebten Roller zum echten Baustein urbaner Mobilität machen – und die „letzte Meile“ neu definieren.
Statt Autofahrten zu ersetzen, wird er oft nur für kurze Strecken genutzt – oder nachts als bequemer Heimbringer vom Club, gern auch mal zu zweit und auf Gehwegen. Überall stehen Roller kreuz und quer, blockieren Radwege und zwingen Passanten zum Slalom. Paris hat bereits ein Verbot erlassen, skandinavische Städte regulieren streng – auch in Deutschland wächst die Skepsis. Doch die Doktoranden des Forschungsprojektes rund um den autonomen E‑Scooter schreiben das Gefährt noch lange nicht ab:

„Also wir sind der Meinung, dass E‑Scooter eine gute Möglichkeit sind, um die letzte Meile zu überbrücken“, sagt David Meister, Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Stuttgart am Institut für Systemtheorie und Regelungstechnik. Gemeinsam mit vier Kollegen forscht er im Projekt eStarling.io an einem autonomen Roller, der schon heute – wie von Geisterhand – über den Campus fährt. „E‑Scooter gibt es in vielen Städten und werden rege genutzt. Zudem zeigen Untersuchungen aus den letzten Jahren, welche Vorteile diese Verleihsysteme mit sich bringen. Vor allen Dingen Flexibilität in der urbaneren Mobilität. Aber es gibt Herausforderungen, die man lösen muss. Und das ist die Motivation hinter unserem Projekt.“

Die Idee entstand bereits 2019, kurz nach dem Start der Roller in Deutschland. Institutsleiter Professor Frank Allgöwer wollte die absehbaren Probleme nicht einfach hinnehmen, sondern gezielt angehen. Das Ziel: ein Scooter, der nicht nur fährt, sondern auch selbstständig umparkt, sich lädt und ordnungsgemäß abstellt. So könnten blockierte Gehwege bald der Vergangenheit angehören. „Die ganzen Probleme, die wir vielleicht jetzt verstärkt wahrnehmen, wären gelöst,“ so Meister.
Vorher galt es allerdings, technische Hürden zu meistern – etwa die Balance auf zwei Rädern. Die Lösung: ein Reaktionsrad, wie es auch in der Satellitentechnik eingesetzt wird und über dem Vorderrad angebracht ist. „Diese Technologie haben wir hier genutzt, um mit einem sich drehenden Rad dafür zu sorgen, dass der Scooter nicht fällt,“ erklärt Meister. Wenn der Scooter zur Seite kippen will, beschleunigt oder bremst dieses Rad gezielt. Dadurch entsteht eine Gegenkraft, die den Scooter wieder ins Gleichgewicht bringt – so wie ein Kreisel, der nicht so leicht umkippt, solange er sich dreht.


Fährt der Roller künftig von selbst zum Ladeplatz, könnte er vom Sorgenkind zum Hoffnungsträger der Mobilität werden.
Hier kommt Satellitentechnik zum Einsatz: Mittels Reaktionsrad kann der E‑Scooter problemlos auf zwei Rädern balancieren.
Damit der Roller nicht selbst zum Hindernis wird, musste er lernen, sich sicher zu orientieren. „Dafür haben wir verschiedene Sensorik“, erklärt Robin Strässer, ebenfalls Doktorand. „Wir haben einmal GPS, um sich zu lokalisieren und seine Position zu finden. Dadurch kann er einem vorgegebenen Pfad folgen, wenn man den z. B. per App gerufen hat. Zusätzlich mussten wir sicherstellen, dass dieser Weg auch tatsächlich befahrbar ist – das heißt, dass keine Menschen, Autos, Fahrräder oder andere Hindernisse im Weg sind. Dafür haben wir noch weitere Sensoren verwendet, unter anderem Ultraschallsensoren, wie man es von der Einparkhilfe beim Auto kennt. Damit der E‑Scooter beispielsweise Gegenstände oder Personen noch exakter identifizieren und unterscheiden kann, forschen wir derzeit an der Integration von einer Kamera. Damit soll der Scooter auch künftig Informationen erhalten, wie sich das jeweilige Objekt verhält und wohin es sich bewegen wird.“



Verschiedene Sensorik sorgt dafür, dass der autonome E‑Scooter nicht selbst zum Hindernis wird.
Künftig soll eine Kamera für noch mehr Sicherheit sorgen.
Interessierte müssen sich gedulden. Noch handelt es sich bei dem autonomen E‑Scooter um ein Forschungsprojekt, bei dem noch einige Herausforderungen zu meistern sind.
In Zukunft soll der Roller per App bestellt werden können – mit Anzeige von Ladestand, Standort und voraussichtlicher Ankunftszeit. Bis zur Marktreife wird es jedoch noch dauern. „Wir müssen klar sagen, dass es noch aktuell ein Forschungsprojekt ist. Es ist nicht darauf ausgelegt, dass es direkt morgen auf der Straße ist.“ Der Preis soll nicht über dem heutigen Sharing-Scooter liegen – vielleicht sogar darunter.
„Wenn wir mit unserem Projekt die letzte Meile erleichtern könnten, um das Leben in Innenstädten zu verbessern, wären wir natürlich sehr dankbar. Es tut gut zu sehen, dass wir hier wirklich Methoden, die wir in der Forschung überlegen und untersuchen, an einem realen Beispiel angewendet werden kann und auch wirklich gesellschaftliche Probleme lösen kann,“ sagt Strässer.

Am Ende hängt das Schicksal des E‑Scooters wohl weniger am Fahrzeug selbst als an der Art wie wir ihn in unseren Alltag integrieren. Projekte wie eStarling.io zeigen, dass es technische Lösungen für viele der aktuellen Probleme gibt – und dass Innovation auch Ordnung schaffen kann. Gelingt der Sprung vom chaotischen Spaßmobil zum autonomen Mobilitätsbaustein, könnte der E‑Scooter doch noch zu dem werden, was man sich einst von ihm erhofft hat: ein verlässlicher Partner für die letzte Meile.
Die „letzte Meile“ bezeichnet im Mobilitätskontext den letzten Abschnitt einer Wegstrecke, meist zwischen einem Verkehrsknotenpunkt (z. B. Bahnhof, Haltestelle) und dem endgültigen Ziel (z. B. Wohnung, Büro, Uni). Es geht also um die Strecke, die oft zu kurz ist, um extra mit dem Auto zu fahren, aber zu weit, um bequem zu Fuß zu gehen. Wenn die „letzte Meile“ mit beispielsweise einem E‑Scooter bestritten werden würde, könnte es im urbanen Umfeld Parkraum frei machen, lange Fußwege werden vermieden, die Städte könnte den Verkehr reduzieren.