Auto­nomer E‑ScooterHoff­nung für die letzte Meile

Fotos: Stock.Adobe.com/fottoo, ACE/Peach&Cherry/Florian Schmucker

Vom Party­ve­hikel zum Forschungs­pro­jekt: Forschende der Uni Stutt­gart tüfteln am auto­nomen E‑Scooter. Gelingt das Projekt, könnte er die unge­liebten Roller zum echten Baustein urbaner Mobi­lität machen – und die „letzte Meile“ neu defi­nieren.

Statt Auto­fahrten zu ersetzen, wird er oft nur für kurze Stre­cken genutzt – oder nachts als bequemer Heim­bringer vom Club, gern auch mal zu zweit und auf Gehwegen. Überall stehen Roller kreuz und quer, blockieren Radwege und zwingen Passanten zum Slalom. Paris hat bereits ein Verbot erlassen, skan­di­na­vi­sche Städte regu­lieren streng – auch in Deutsch­land wächst die Skepsis. Doch die Dokto­randen des Forschungs­pro­jektes rund um den auto­nomen E‑Scooter schreiben das Gefährt noch lange nicht ab:

Zwischen achtlos abge­stellten E‑Scootern wird der Gehweg schnell zur Hinder­nis­strecke für Fußgän­ge­rinnen und Fußgänger.

„Also wir sind der Meinung, dass E‑Scooter eine gute Möglich­keit sind, um die letzte Meile zu über­brü­cken“, sagt David Meister, Dokto­rand und wissen­schaft­li­cher Mitar­beiter der Uni Stutt­gart am Institut für System­theorie und Rege­lungs­technik. Gemeinsam mit vier Kollegen forscht er im Projekt eStarling.io an einem auto­nomen Roller, der schon heute – wie von Geis­ter­hand – über den Campus fährt. „E‑Scooter gibt es in vielen Städten und werden rege genutzt. Zudem zeigen Unter­su­chungen aus den letzten Jahren, welche Vorteile diese Verleih­sys­teme mit sich bringen. Vor allen Dingen Flexi­bi­lität in der urba­neren Mobi­lität. Aber es gibt Heraus­for­de­rungen, die man lösen muss. Und das ist die Moti­va­tion hinter unserem Projekt.“

Die jungen Wissen­schaftler der Uni Stutt­gart wollen mit dem Projekt eStarling.io zur Problem­lö­sung beitragen. V.l. David Meister, Robin Strässer, Felix Brändle.

Die Idee entstand bereits 2019, kurz nach dem Start der Roller in Deutsch­land. Insti­tuts­leiter Professor Frank Allgöwer wollte die abseh­baren Probleme nicht einfach hinnehmen, sondern gezielt angehen. Das Ziel: ein Scooter, der nicht nur fährt, sondern auch selbst­ständig umparkt, sich lädt und ordnungs­gemäß abstellt. So könnten blockierte Gehwege bald der Vergan­gen­heit ange­hören. „Die ganzen Probleme, die wir viel­leicht jetzt verstärkt wahr­nehmen, wären gelöst,“ so Meister.

Vorher galt es aller­dings, tech­ni­sche Hürden zu meis­tern – etwa die Balance auf zwei Rädern. Die Lösung: ein Reak­ti­onsrad, wie es auch in der Satel­li­ten­technik einge­setzt wird und über dem Vorderrad ange­bracht ist. „Diese Tech­no­logie haben wir hier genutzt, um mit einem sich drehenden Rad dafür zu sorgen, dass der Scooter nicht fällt,“ erklärt Meister. Wenn der Scooter zur Seite kippen will, beschleu­nigt oder bremst dieses Rad gezielt. Dadurch entsteht eine Gegen­kraft, die den Scooter wieder ins Gleich­ge­wicht bringt – so wie ein Kreisel, der nicht so leicht umkippt, solange er sich dreht.

Damit der Roller nicht selbst zum Hindernis wird, musste er lernen, sich sicher zu orien­tieren. „Dafür haben wir verschie­dene Sensorik“, erklärt Robin Strässer, eben­falls Dokto­rand. „Wir haben einmal GPS, um sich zu loka­li­sieren und seine Posi­tion zu finden. Dadurch kann er einem vorge­ge­benen Pfad folgen, wenn man den z. B. per App gerufen hat. Zusätz­lich mussten wir sicher­stellen, dass dieser Weg auch tatsäch­lich befahrbar ist – das heißt, dass keine Menschen, Autos, Fahr­räder oder andere Hinder­nisse im Weg sind. Dafür haben wir noch weitere Sensoren verwendet, unter anderem Ultra­schall­sen­soren, wie man es von der Einpark­hilfe beim Auto kennt. Damit der E‑Scooter beispiels­weise Gegen­stände oder Personen noch exakter iden­ti­fi­zieren und unter­scheiden kann, forschen wir derzeit an der Inte­gra­tion von einer Kamera. Damit soll der Scooter auch künftig Infor­ma­tionen erhalten, wie sich das jewei­lige Objekt verhält und wohin es sich bewegen wird.“

In Zukunft soll der Roller per App bestellt werden können – mit Anzeige von Lade­stand, Standort und voraus­sicht­li­cher Ankunfts­zeit. Bis zur Markt­reife wird es jedoch noch dauern. „Wir müssen klar sagen, dass es noch aktuell ein Forschungs­pro­jekt ist. Es ist nicht darauf ausge­legt, dass es direkt morgen auf der Straße ist.“ Der Preis soll nicht über dem heutigen Sharing-Scooter liegen – viel­leicht sogar darunter.

„Wenn wir mit unserem Projekt die letzte Meile erleich­tern könnten, um das Leben in Innen­städten zu verbes­sern, wären wir natür­lich sehr dankbar. Es tut gut zu sehen, dass wir hier wirk­lich Methoden, die wir in der Forschung über­legen und unter­su­chen, an einem realen Beispiel ange­wendet werden kann und auch wirk­lich gesell­schaft­liche Probleme lösen kann,“ sagt Strässer.

Tech­ni­sche Lösungen, wie der auto­nome E‑Scooter, könnten aktu­ellen Probleme beheben und so den E‑Scooter als Gefährt für die letzte Meile reha­bi­li­tieren.

Am Ende hängt das Schicksal des E‑Scooters wohl weniger am Fahr­zeug selbst als an der Art wie wir ihn in unseren Alltag inte­grieren. Projekte wie eStarling.io zeigen, dass es tech­ni­sche Lösungen für viele der aktu­ellen Probleme gibt – und dass Inno­va­tion auch Ordnung schaffen kann. Gelingt der Sprung vom chao­ti­schen Spaß­mobil zum auto­nomen Mobi­li­täts­bau­stein, könnte der E‑Scooter doch noch zu dem werden, was man sich einst von ihm erhofft hat: ein verläss­li­cher Partner für die letzte Meile.

Die „letzte Meile“ bezeichnet im Mobi­li­täts­kon­text den letzten Abschnitt einer Wegstrecke, meist zwischen einem Verkehrs­kno­ten­punkt (z. B. Bahnhof, Halte­stelle) und dem endgül­tigen Ziel (z. B. Wohnung, Büro, Uni). Es geht also um die Strecke, die oft zu kurz ist, um extra mit dem Auto zu fahren, aber zu weit, um bequem zu Fuß zu gehen. Wenn die „letzte Meile“ mit beispiels­weise einem E‑Scooter bestritten werden würde, könnte es im urbanen Umfeld Park­raum frei machen, lange Fußwege werden vermieden, die Städte könnte den Verkehr redu­zieren.


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